Amtsblatt des Saale-Holzland-Kreises · 9. Jahrgang · Ausgabe 01/2012 · 25. Januar 2012
Nichtamtlicher Teil
Christine Ruhs – immer wieder eingefädelt
Chic hat Chancen. Das sahen Frauen in der DDR genauso wie anderswo. Wer da selbst nähen konnte, kam preiswerter weg. Schicke Klamotten schneidern erschien der damals 15-jährigen Christine jedenfalls als Traumberuf. Also erlernte sie ihn ab 1958 in der Geraer PGH „Modezentrum“ als Damenmaßschneiderin. „Die Damen kamen mit ihren Vorstellungen, die Meisterin nahm die Maße ab, dann lag alles in der Hand einer von uns Schneiderinnen. Wir waren für unsere Arbeit vom Zuschnitt bis zum letzten Knopfloch verantwortlich,“ erinnert sich Christine Ruhs. Sie erinnert sich auch an einen Leistungsvergleich zwischen verschiedenen PGH, bei dem sie für ein Jackenkleid die vollen zehn Punkte erhielt und als Prämie eine Strumpfhose.
1965 wechselte sie in eine Zweigstelle der PGH nach Klosterlausnitz zu Schneidermeister Horst Danzscher, spezialisiert auf Damenröcke, -hosen und Kostüme. Dabei geriet sie, zumal höchst temperamentvoll, zwangsläufig in die Fänge der weithin „berüchtigten“ hiesigen Faschingsgesellschaft und nähte für Elferrat, Funken und alle möglichen anderen Närrinnen und Narren noch Kostüme ganz anderer Art. Da konnte sie ihrer unerschöpflichen Phantasie freien Lauf lassen.
1974 rief sie unter dem Dach des DFD und der Schülergaststätte in Hermsdorf einen Nähzirkel ins Leben. Je anderthalb Stunden pro Woche für Anfänger und Fortgeschrittene. Wegen der vielen Bewerber nur jeweils für ein Vierteljahr, und alles mit einer einzigen Nähmaschine. Das reichte zur fachlichen Anleitung für das Üben zu Hause. Ende der 70er übernahm sie dazu einen Nähzirkel im damaligen Kulturhaus der KWH und dazu eine Näh-Arbeitsgemeinschaft an der POS. Bis auf Letztere gingen die Zirkel quasi „nahtlos“ mit der Wende in den Hermsdorfer Volkskunstverein über, jetzt mit Sitz in der ehemaligen Buswartehalle am Bahnhof.
Sie selbst arbeitete nach der Auflösung der PGH noch bis 1994 in Bad Klosterlausnitz im Geschäft von Oliver Dycke als Gardinennäherin, bis das die Auftragslage nicht mehr zuließ. Als sie in der Zeitung las, dass die Volkshochschule um Teilnehmer an einem Nähkurs warb, erkundigte sie sich, wer denn diesen leite? Es gab noch niemanden. So übernahm sie das.
Für das jahrzehntelange engagierte Weitervermitteln einer uralten Handwerkskunst ehrte nun der Landrat Andreas Heller Christine Ruhs mit der Thüringer Ehrenamtscard.
Hierzulande, wo man Bekleidung unglaublich günstig aus Billiglohnländern kaufen kann, sie eher wegwirft, statt sie zu flicken, sollte man eigentlich wenig Bock aufs Nähen lernen vermuten. Christine Ruhs sieht da einen positiven Trend. Ändern und Reparieren, einen Reißverschluss neu einsetzen, das alles kostet Geld. Außerdem gibt es immer noch Fasching, Volkskunstgruppen, Schülertheater. Selber nähen spart da Taschengeld und macht dazu noch Spaß (im Bild 3. von links).